Querbalken

Begriffsdefinition - ein Ansatz zur Analyse von Anforderungen

Beschreibung einer Methode
zur Analyse von fachlichen Anforderungen
auf der Basis der bis dahin gemachten Erfahrungen
in den Analyseprojekten.
1995


Gliederung


Motovation - Ziel - Abgrenzung

Der Methodenbegriff

Begriffsanalyse

Begriffsdefinition

Inhaltsdefinition

Umfangsdefinition

Definitionsgrundsätze

Abschließende Bemerkungen

Literatur


Motivation - Ziel - Abgrenzung

Wie kommt man von dem von der Fachwelt gestellten meist informalen Problem zu einem ersten strukturierten Beschreibungsansatz, auf dessen Basis die weitere Betrachtung und Erörterung des Problems erfolgen kann?

Vielfach wird in der Literatur beschrieben, was in den frühen Phasen der Software-Entwicklung - Planung, Vorstudie, Anforderungsanalyse - zu tun ist. Offen bleibt jedoch zumeist, wie vorgegangen und modelliert werden soll, um das fachliche Problem, welches mit Hilfe von geeigneten DV-Lösungen zu unterstützen ist, richtig zu erfassen und zu begreifen. Das zur Zeit wohl am meisten propagierte Vorgehen besteht aus der Beschreibung der Anwendungsfälle (Use-Case-Analysis / Booch, Oestereich).

Die hier im Ansatz vorgestellte Methode soll zur Analyse von Informationen und Informationszusammenhängen eines Ausschnittes der realen Welt, der im folgenden als (Fach)Domäne bezeichnet wird, dienen.

Zunächst zum Begriff Information. Informationen ist ein mitgeteilter oder aufgenommener Wissensbestandteil über einen bestimmten Sachverhalt der Domäne. Es geht also um Fachkenntnis und Fachwissen der in der Domäne involvierten Personen. Das in Form von Information repräsentierte Wissen wird gespeichert, wiedergewonnen, formuliert, als Nachricht ausgetauscht, interpretiert und verarbeitet. Dieser Lebenszyklus der Information (information life cycle) ist im Rahmen der Analyse zu begreifen und zu definieren.

In diesem Sinne fokussiert sich der methodische Ansatz also nicht so sehr auf den Gegenstand der Bearbeitung an sich oder die Verrichtungen an ihm, sondern auf die Begriffe, mit denen die Beteiligten in der Domäne über die Sachverhalte (in Bezug auf die Objekte und Verrichtungen an ihnen) kommunizieren.

Das Ziel der hier vorgestellten Methode ist die Erörterung der Fachbegriffe und deren Abbildung in formalen Informationsstrukturen, auf deren Basis im weiteren die Entwicklung von adäquaten Informationssystemen erfolgen kann. Die Methode der Analyse basiert auf den Grundsätzen der Definition von (Fach)Begriffen. In mehreren meiner Projekte - KREDIS (Landesbank Kiel, 1983), SIKAM (Marinearsenal Wilhelmshaven, 1990), NGS (DG Bank Frankfurt, 1993), SIMA (Deutsche Börse Frankfurt, 1994) - bildete sie das Fundament der Entwicklung von sachgerechten Informationssystemen in den frühen Phasen der Planung und Analyse.

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Der Methodenbegriff

Eine Methode unterstützt die Lösung eines fachlichen Problems im Rahmen von zuvor festgelegten Aspekten, indem sie das Verfahren, die Sprache und die Werkzeuge für die Problembetrachtung vorgibt. Je Problem und je Aspekt der Problemstellung existiert also eine Methode (bzw. sollte existieren), nach der ein zielorientiertes Vorgehen ermöglicht wird.
Aspekt eines Problems bedeutet, daß die Miniwelt - die fachliche Domäne - nicht in ihrer gesamten Komplexität betrachtet wird, sondern eingeschränkt auf bestimmte Teilbereiche, die im Rahmen der Analyse von Bedeutung sind. Das hat zur Folge, daß man für komplexe Probleme mehrere abgestimmte Methoden benötigt.

Eine Methode besteht aus (siehe hierzu auch
Booch und Orr et al.) Pfeil oben

Begriffsanalyse

Informationen existieren in Form von (Fach-)Begriffen und Fachaussagen der betrachteten Miniwelt. Begriffe repräsentieren somit Informationen über die Sachverhalte eines betrachteten Realitätsausschnittes.
Diese Sachverhalte umfassen entweder

In Anlehnung an die allgemeine Differenzierung in funktionale oder objektorientierte Sichtweisen möchte ich analog unterscheiden in einen objektorientierten Aspekt und einen funktionalen Aspekt der Begriffsanalyse. Die Begriffsanalyse erfolgt demgemäß zum einen unter dem Aspekt der Gegenstandsbetrachtung (objektorientiert) und zum anderen unter dem Aspekt der Erörterung der Geschäftsprozesse (aufgaben-, funktionsorientiert). Begriffsanalyse hat im wesentlichen zur Aufgabe die Definition von Begriffen; diese beschäftigt sich mit der Beschreibung der Information, die in den Begriffen verborgen ist.

Anmerkung:
In dem Kontext Datenanalyse und Wissensverarbeitung gibt es eine andere Auslegung der formalen Begriffsanalyse, die nicht auf die sprachliche Ausrichtung und Normierung über die DIN2330 und 2331 basiert, sondern die mathematischen Ansätze der Verbandstheorie und Ordnungstheorie zugrunde legt. Da es sich um einen grundlegend anderen Ansatz handelt, möchte ich hierauf nicht weiter eingehen und stattdessen auf die entsprechende Literatur hinweisen:
Ganter, B.; Wille, R.: Formale Begriffsanalyse - Mathematische Grundlagen; Springer 1996.

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Begriffsdefinition

Die Definition ist die Festlegung eines Begriffes durch Herstellung von Beziehungen zu anderen (bekannten oder bereits definierten) Begriffen mit dem Zweck der Abgrenzung von anderen Begriffen. Die Definition von Begriffen erfolgt nach den Definitionsgrundsätzen laut Vorschlag DIN 2330 und DIN 2331.
Man unterscheidet zwei Arten von Definitionen:

  1. die Inhaltsdefinition
  2. die Umfangsdefinition
Begriffe können durch Verwendung der oben aufgeführten Definitionsarten unter Beachtung der Definitionsgrundsätze hinreichend vollständig und eindeutig definiert werden. Eine exakte Differenzierung der einzelnen Definitionsarten ist oft nicht möglich, allerdings auch nicht nötig.

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Inhaltsdefinition

Ein Begriff wird durch Angabe aller wesensbestimmenden Merkmale beschrieben.

Die Inhaltsdefinition kann erfolgen durch

  1. Benennung des Begriffes und Aufzählung aller seiner relevanten bzw. wesentlichen Merkmale.
    Beispiel:
    Ein Wal ist ein großes und graues Lebewesen, welches im Meer lebt, seine Jungen lebend gebärt und säugt.


  2. Angabe eines bekannten Oberbegriffes und der konkretisierenden Merkmale, die den zu definierenden Begriff von dem Oberbegriff abgrenzen
    Beispiel:
    Ein Wal ist ein Säugetier, welches groß und grau ist und im Meer lebt.
    (Aus dem Begriff "Säugetier" geht hervor, daß ein Wal lebend gebärend ist und seine Jungen säugt.)

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Umfangsdefinition

Die Umfangsdefinition besteht aus der Angabe aller unter einen Begriff erfaßten Gegenstände oder Sachverhalte.

Dies kann geschehen durch:

  1. Aufzählung aller Gegenstände, z.B. die Planeten des Sonnensystems sind "Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto". Die Aufzählung der Gegenstände ist nur dann sinnvoll, wenn relativ wenig Gegenstände dazugehören und alle bekannt sind.


  2. Angabe von Gegenstandsklassen, d.h. durch Aufzählung von Unterbegriffen für Gegenstände, die sich in ihrer Gesamtheit zu dem zu definierenden Begriff ergeben. Die Aufzählung von Unterbegriffen erfolgt in Begriffsreihen.


  3. Angabe einer Regel, nach der die Aufzählung gewonnen werden kann, so sind z.B. Primzahlen natürliche Zahlen, die nur durch eins und sich selbst teilbar sind.

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Begriffsreihen

Als Begriffsreihen existieren

  1. die Bestandteilsreihe oder Komposition

    Bestandteilsreihen ergeben sich aus der Angabe aller Unterbegriffe, die in ihrer Gesamtheit den Oberbegriff ergeben, so "besteht z.B. ein Auto aus einem Fahrwerk, einer Karosserie, einem Motor, Sitzen etc.". Bestandteilsreihen resultieren aus partitiven Beziehungen zwischen Begriffen. Typisch für Bestandteilsreihen sind Prädikate wie "...besteht aus..." oder "...ist zusammengesetzt aus...".


  2. die Abstraktionsreihe oder Generalisierung

    Abstraktionsreihen ergeben sich aus der Angabe aller Unterbegriffe, die Alternativen oder Arten des Oberbegriffes repräsentieren. Abstraktionsreihen resultieren aus generischen Beziehungen zwischen Begriffen, so "ist z.B. ein Fahrzeug entweder ein Landfahrzeug, ein Luftfahrzeug oder ein Wasserfahrzeug". Typisch für Abstraktionsreihen sind Prädikate wie "ist entweder ein ... oder ein...".


  3. relationale Begriffsreihen

    Relationale Begriffsreihen ergeben sich aus der Angabe aller Begriffe, die zu dem zu definierenden Begriff in allgemeiner, nicht hierarchischer Beziehung stehen. Bestandteilsreihen und Abstraktionsreihen sind häufig vorkommende Spezialfälle von relationalen Begriffsreihen.

    Beispiel:

    Ein Auto wird angefertigt, indem eine Person bzw. ein Team von Personen in einem Automobilwerk in einem bestimmten Zeitraum die Bestandteile eines Autos zu einem Ganzen zusammenfügt.

    Die Aussage des Beispiels enthält mehr Information, als die oben angeführten Beispiele; so wird unter anderem auch etwas über die Fertigung eines Autos etwas ausgesagt. Es ist sehr häufig, daß relationale Beziehungen zwischen Begriffen - die Gegenstände repräsentieren - aus den Prozessen an den betroffenen Gegenständen resultieren. D.h. Aussagen, die relationale Begriffsreihen implizieren, enthalten meist einen Begriff, der einen Prozeß, einen Verrichtungsaspekt, beschreibt.

Partitive Beziehungen und generische Beziehungensind (häufig auftretende) Sonderfälle von relationalen Beziehungen. Partitive und generische Beziehungen repräsentieren hierarchische Abhängigkeiten zwischen den Begriffen. Relationale Beziehungen resultieren häufig aus funktionalen Abängigkeiten zwischen den Begriffen. D.h. Aussagen, die relationale Begriffsreihen implizieren, enthalten meist einen Begriff, der einen Prozeß - einen Verrichtungsaspekt - beschreibt.

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Grundsätze bei der Definition von Begriffen

  1. Eindeutigkeit und Unmißverständlichkeit

    Jeder Begriff innerhalb eines Begriffssystems muß eindeutig und unmißverständlich definiert sein, d.h. ein Begriff darf nur genau eine Bedeutung haben. Die zur Definition eines Begriffes verwendeten Begriffe müssen entweder allgemein bekannt oder an dieser oder einer anderen (deutlich gekennzeichneten) Stelle definiert sein. Wenn z.B. ein Wal ein im Meer lebendes Säugetier ist, dann muß der Begriff Säugetier bekannt sein.

  2. Exaktheit und Abgrenzung

    Eine Definition eines Begriffes muß mindestens so exakt sein, daß sie zur Abgrenzung zu den im jeweiligen Zusammenhang (innerhalb des Begriffssystems) stehenden Begriffe dienen kann. Bei Begriffen, die durch Aufzählung von bekannten Begriffen definiert werden, ist zu prüfen, ob die Bedeutung eindeutig ist oder ob zusätzliche Merkmale erforderlich sind. Wenn z.B. die Begriffe Meerlebewesen und Säugetier bekannt sind, dann sind mindestens noch die Merkmale Größe und Gewicht notwendig, um die Begriffe Wal und Seehund gegeneinander abgrenzen zu können.

  3. Benennung von Begriffen

    Ein Begriff wird im Rahmen der Definition mit Wörtern der Sprache benannt. Die Benennung muß eindeutig sein. Homonye müssen umbenannt werden, Synonyme müssen als solche gekennzeichnet werden.

    Homonyme sind identische Benennungen für unterschiedliche Begriffe. Wenn z.B. der Begriff Schloß als prunkvolles Bauwerk und als Gegenstand zum Abschließen eingeführt worden ist, dann muß mindestens eine der Bedeutungen in einem neuen Begriff erfaßt werden. (Das "Schloß zum Abschließen" wird also als Vorhängeschloß bezeichnet.)

    Synonyme sind unterschiedliche Benennungen für denselben Begriff, so sind z.B. die Begriffe Elysium und Garten Eden Synonyme und beschreiben beide das Paradies. Einer der synonymen Begriffe muß definiert sein, bei dem anderen ist der Verweis auf diesen hinreichend.

  4. Eingrenzung der Domäne

    Häufig werden Begriffe nur im Rahmen von bestimmten Anwendungsbereichen (Domänen) definiert. Für den Fall, daß eine Definition nur begrenzt, bezogen auf einen durch die Anwendung festgelegten Aspekt, gilt, muß dies explizit vermerkt werden. Z.B. unter dem Aspekt "als Spielgerät für Kinder tauglich" ist es nicht erforderlich, den Begriff Roller als Tretroller zu präzisieren; dies ändert sich jedoch, wenn der Aspekt "Fahrzeug" betrachtet wird. Dies gilt analog für zeitliche Gültigkeit von Definitionen.

  5. Vermeidung von Zirkelschlüssen

    Zirkelschlüsse sind Definitionen von Begriffen unter Bezugnahme auf andere Begriffe, die zuvor durch die zu definierenden Begriffe definiert worden sind.

    Ein Begriff darf nicht definiert werden unter Verwendung anderer Begriffe, die durch diesen beschrieben worden sind. Wenn z.B. definiert ist, Textilien sind "Erzeugnisse der Textilindustrie", dann darf der Begriff Textilindustrie nicht beschrieben werden als "der Industriezweig, der Textilien herstellt".

  6. Vermeidung von Widersprüchen

    Widersprüche sind Definitionen eines Begriffes, die der Definition eines anderen Begriffes widersprechen.

    Innerhalb eines Begriffssystems dürfen Definitionen von Begriffen sich nicht widersprechen. Wenn z.B. bekannt ist, daß "die Wurzel aus 2 keine rationale Zahl ist", dann darf man nicht definieren, daß "die Zahl 2 sich als Quadrat eines gekürzten Bruches darstellen läßt".

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Abschließende Bemerkungen

Wie oben gefordert besteht eine Methode aus mindestens einer Sprache, einem Verfahren und mindestens einem Werkzeug. Die Sprache des hier vorgestellten Methodenansatzes wird definiert durch die Sprachmittel und Modelle der Begriffsstrukturen. Das Verfahren wird angerissen durch die Definitionstechniken und Definitionsgrundsätze. Ein Werkzeug zur Unterstützung von Begriffsdefinitionen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Eingliederung in eine integrierte Entwicklungsumgebung, existiert meines Wissens nicht.

In den meisten mir bekannten Werkzeugen wird das Prinzip der Anforderungsanalyse umgekehrt in der Weise, daß zuerst ein Modell entwickelt wird bevor die Modellelemente beschrieben werden können. Ken Orr et al. scheint diese Annahme zu bestätigen durch die Behauptung, daß das Modell häufig mit Methode verwechselt wird. Dies führt jedoch zu einer Definition des Modells und des darin abgebildeten Diagramms und nicht zu einer Definition der Begriffe der Fachwelt.

Der hier vorgestellte Ansatz zielt jedoch auf eine systematische Definition der Fachbegriffe und Strukturierung in Begriffssystemen, bevor darauf aufbauend das Modell eines Informationssystems entwickelt werden kann. Im Rahmen meiner Projekte habe ich mit dieser Methode durchweg gute Erfahrungen gemacht. Und dafür gibt es aus meiner Sicht folgende Gründe:

Offen bleiben noch die Fragen, wie die Integration dieses Ansatzes in den Prozeß der Software-Entwicklung integriert werden kann und wie es mit den Begriffsstrukturen weiter geht in Richtung einer werkzeuggestützten Software-Entwicklung. An dieser Stelle möchte ich mir ein wenig Beratungsspielraum offenhalten.

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Literatur



Booch Object-Oriented Analysis and Design with Applications;
Benjamin/Cummings Publishing, 1994
Chen The Entity/Relationship Model - Toward a Unified View of Data;
ACM Transactions on DBS (TODS), Vol.1(1), 1976
Codd A Relational Data Model of Data for Large Shared Data Bases;
Comm. of the ACM, Vol.13(6), 1970
Codd Extending the Relational Model;
ACM TODS, Vol.4, 1979
DIN2330 Begriffe und Benennungen - allgemeine Grundsätze;
Beuth-Verlag, 1974
DIN2331 Begriffsysteme und ihre Darstellung;
Beuth-Verlag, 1976
Martin Information Engineering;
Savant Institute, 1981
Ortner Aspekte einer Konstruktionssprache für den DB-Entwurf;
Informatik und OR, Bd. 11, Toeche-Mittler-Verlag, 1983
Östereich Objektorientierte Software-Entwicklung - Analys und Design mit der UML;
Oldenbourg-Verlag, 1998
www.oose.de/uml
Österle Entwurf betrieblicher Informationssysteme;
Computer Monographien, Bd. 16, Hanser-Verlag, 1981
Orr et al. Methodology: The Experts Speak;
BYTE, 04/1989
Rumbaugh et al. Objektorientiertes Modellieren und Entwerfen;
Hanser-Verlag, 1994
Smith/Smith Database Abstractions - Aggregation and Generalization;
ACM TODS, Vol.2(2), 1977

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